Heiner Hiltermann, Journalist und Autor
Wohin man schaut: Gesichter. Lächeln sie mild, lächeln sie spöttisch, lächeln sie herrisch? Auf jeden Fall lächeln sie geheimnisvoll. Und das war wohl auch beabsichtigt von Jayavarman VII. dem
Bauherren des Bayon, dem auffälligsten Tempel in Angkor Thom. Angkor Thom war seine Stadt, neun Quadratkilometer gross, mehr als eine Million Menschen sollen hier um 1200 n. Chr. gelebt haben. Heute
stehen hier nur noch die Ruinen der Paläste und Sakralbauten. Die Wohnhäuser der Menschen waren aus Holz und das ist längst verfault in der tropischen Hitze Kambodschas. Ebenso ist es den
Palmblättern ergangen, auf denen die Geschichte des Khmer-Königreichs womöglich überliefert wäre. So aber wissen die Historiker recht wenig über das Leben in der mittelalterlichen Metropole. Zeigen
die Gesichter wirklich den Boddhisatva Avalokiteshvara, der den Buddhismus nach Südostasien gebracht haben soll? Oder zeigen sie doch die Züge Jayavarmans, wie viele vermuten? Auch das macht Angkor
so spannend, dass man viel hinein geheimnissen kann.
Drei Tage reichen, um durch die Ruinen zu stöbern, denken die meisten Besucher Angkors. So lösen auch wir für 40 Dollar das Drei-Tage-Ticket und machen uns mit dem Fahrrad auf die Entdeckungsreise.
Angkor Wat liegt zuerst am Weg und wir schieben uns mit tausenden anderen Besuchern durch die grösste Tempelanlage der Welt. Chinesen fotografieren sich gerne gegenseitig in Fensternischen, vor
Statuen und auf Balustraden, deren Betreten eigentlich verboten ist, weil Experten an deren Stabilität zweifeln. Wir entkommen dem Trubel bald und entdecken etwas versteckt eine kleine, steile
Tempelpyramide, die wir ganz für uns haben, weil der Parkplatz für Busse und Motorradrikschas zu weit entfernt ist. Und da befällt auch uns der Zauber, den Angkor für viele ausstrahlt. Wir sitzen auf
der obersten Plattform und schauen auf den scheinbar undurchdringlichen Urwald ringsum. Endlich hört man keine Stimmen mehr, sondern nur Vogelgezwitscher.
Im Innenraum in der Spitze der Pyramide wacht eine alte Nonne ganz in Weiss über eine liegende Buddhastatue. Wortlos drückt sie uns zwei Räucherstäbchen in die Hände. Wir spenden einen halben Dollar
und geniessen etwas hilflos die spirituelle Atmosphäre.
Wir folgen einer schmalen Spur durch den Wald und erreichen einen Platz mit einem Essensstand, den offenbar vor allem die Rikschafahrer besuchen. Die Köchin umsorgt uns wie Ehrengäste. Die Nudelsuppe
ist fantastisch und nicht teurer als in Siem Reap. Als die Bedienung sieht, dass Melli die Limonenstücke besonders gerne mag, bekommt sie noch ein Extra-Tellerchen.
Dann folgt der Bayon mit seinen Gesichtertürmen. Weil die organisierten Touren jetzt erst Mittagspause machen, hält sich der Andrang in Grenzen und wir können in Ruhe schauen. Am Abend haben wir rund
30 Kilometer mit dem Leihrad zurückgelegt und doch erst einen Bruchteil der ganzen Anlage gesehen. Am dritten Tag dann kommen die Zweifel: Hätten wir doch noch 20 Dollar für das Wochenticket
drauflegen sollen? Aber auch eine Woche reichte nicht, um alles zu sehen. Und Monatstickets sind noch nicht im Angebot!