Gast-Freundschaft

Ram Sharma empfängt seine Kunden mit einem warmen Lachen. «Nur herein, setz dich, wo kommst du her?», zieht Ram seine Kunden gleich in ein anregendes Gespräch. «Aus Deutschland!», ruft er begeistert aus, «da fühle ich mich doch gleich, als wäre ich dort!». Er ist noch niemals aus Kathmandu heraus gekommen, lebt seit 55 Jahren dort. Aber über seine Kunden und Besucher hat er schon die ganze Welt gesehen.

 

Natürlich dürfen in einem Hotel Zimmer- und Stockwerksnummern, Rezeptions- und Rauchen verboten-Schilder nicht fehlen. Auch grossformatige Fotos machen sich gut als Dekoration in Lobby und Treppenhaus. Ram Sharma ist der Designer unserer Wahl.
«Eine junge Japanerin kommt seit 14 Jahren immer wieder», erzählt Ram. «Mittlerweile hat sie drei Kinder, die Älteste ist zehn. Sie gibt nur selten etwas in Auftrag», sagt Ram, «aber sie ist einfach gerne bei mir».
Das kann man gut nachvollziehen! Ram schafft eine so herzliche Atmosphäre, dass man gar nicht merkt, wie die Zeit verstreicht. «Ach, Japan», seufzt er, der doch noch nie einen Fuss in das Land der aufgehenden Sonne gesetzt hat, «was für ein fantastisches Land!». Man glaubt es ihm aufs Wort. Von Russland schwärmt er ebenso wie von Brasilien. Dabei zieht ihn nichts in die Ferne, Ram lebt gerne in Kathmandu. In einfachen Verhältnissen, betont er, er wohnt zur Miete, hat auch sonst keinen Besitz. Es grämt ihn nicht: Im Gespräch mit Fremden öffnet sich ihm deren ganze Welt. Seinen Job erledigt er fast nebenbei.

Aber was lockt so viele in diesen Grafikshop, in den wir doch auch nur gegangen sind, weil wir Ausstattung und Dekoration für unser Hotel wollten? Von aussen wirkt der Laden unscheinbar, geht fast unter in der bunten Vielfalt der aneinander gereihten Shops. Aber irgendetwas zieht immer wieder Passanten die steile Treppe empor in einen Raum, in dem sich in rund 30 Jahren unzählige Arbeitsproben und Entwürfe angesammelt haben und die Wände in mehreren Lagen zieren. Nepalesische Schriftzeichen, silber auf dunkelgrün, hängen neben Werbeplakaten für Everest-Treks in intensivem himmelblau, selbst gemalte Landschaftsbilder, Fotoportraits neben einer Urkunde – für Design? Man erkennt es nicht.
Auf den ersten Blick ein heilloses Durcheinander, auf den zweiten ein liebevoll gestalteter Raum von einem, der nichts wegwerfen kann. Ein alter Computer steht mitten im Raum, ein Netz von Drähten, scheinbar wahllos unter die Decke gespannt, verbindet ihn mit Drucker und Plotter, die irgendwo unsichtbar unter all den Papieren und Plastikbahnen kauern. Ram ist stolz auf das Netz, und wenn man lange genug hinschaut, ist es Kunst.

Genauso begeistert, wie er erzählt, arbeitet Ram. Er ist mit Leib und Seele Designer. Wir beraten jede Schrifttype, jede Grösse und Farbe, und am Ende setzt er sich durch. Und erst die Fotos! Wir besprechen jede Farbe, jede Kontur und Schärfentiefe. Stunden später verlasse ich den Laden, nachdem wir zum Schluss noch freundschaftlich um den Preis gefeilscht haben, den die Qualität, die er liefert, verdient. Die kann ich am nächsten Tag bewundern, als ich meine Aufträge abhole. Und wieder bleibe ich viel länger bei diesem Menschenfreund Ram Sharma als eigentlich geplant. Ganz sicher wird es nicht der letzte Besuch gewesen sein.

Text und Fotos: © Copyright Heiner Hiltermann