Heiner Hiltermann, Journalist und Autor

Gischt spritzt auf, der Motor heult, es rumpelt mächtig in den Stromschnellen. Nur um wenige Handbreit passieren wir die grossen Felsen. Unser Bootsführer kennt den Fluss im Schlaf, er weiss genau, wie trügerisch die sanften Wellen weiter in der Mitte sein können, die wir Laien als Fahrweg gewählt hätten. Unterhalb der Barriere geht es gemächlich weiter, die Landschaft gleitet vorbei wie im Traum. Steil ragen die Karstberge in den Himmel, auf Absätzen in den senkrechten Wänden krallt sich Urwaldgrün. Am Ufer hat der Fluss die Wurzeln grosser Bäume frei gespült, Sandbänke markieren seichteres Fahrwasser. Von Zeit zu Zeit tauchen ein paar Häuser auf. Am Ufer spielen Kinder, eine Frau erledigt den Abwasch. Etwas unterhalb eine Herde Wasserbüffel, Schweine suhlen sich im Schlamm.
Nach vier Stunden erreichen wir Muang Ngoi Neua, das touristische Vorzeigedorf im Norden. Hier sind die Wände der Häuser aus Stein, die Dächer aus Wellblech oder mit Ziegeln gedeckt. Schon an der Anlegestelle warten die Besitzer der Gästehäuser und werben mit der Lage ihrer Unterkünfte. Eine Terrasse über dem Fluss, von der man den Sonnenuntergang geniessen kann, ist wirklich nicht zu verachten. Zum ersten Mal in Laos sehen wir fröhliche Menschen, sie lachen und reden miteinander. Sie haben auch allen Grund dazu: Sie verdienen nicht schlecht am Tourismus. Kleine Shops verkaufen die handwerklichen Erzeugnisse der Gegend, gewebte Tücher hauptsächlich, Körbe, Schmuck. Restaurants bieten Lao-Food und Pizza und morgens kann man sein Frühstück am Buffet selber zusammenstellen. Und dabei fühlt sich der Gast wie mitten im Urwald: vermeintlich ist der Ort nur über das Wasser zu erreichen. Die Illusion zerbirst, als wir am zweiten Tag in der Dorfstrasse einen nagelneuen weissen Toyota sehen – sein Besitzer wäscht gerade die Staubspuren der Piste vom Lack.

Allzu lange wird der Ort womöglich nicht mehr von seiner einzigartigen landschaftlichen Lage profitieren: Auch hier sind die Chinesen aktiv, sie bauen reihenweise Staudämme an Laos` wilden Strömen. Etwas oberhalb von Muang Ngoi Neua zwingt ein Damm die Bootsfahrer bereits zum Umstieg auf ein Taxi; neun Kilometer geht es auf der Piste weiter, dann darf man wieder zurück ins Boot. Die Weiterfahrt bis hinunter nach Luang Prabang ist jetzt schon nicht mehr möglich. Gleich zwei Dämme blockieren hier den Weg. Ob die Laoten soviel elektrischen Strom wirklich benötigen? Zwar freuen sich auch die Dorfbewohner in abgelegenen Gebieten über elektrisches Licht und Fernsehen. Aber der Hauptteil der erzeugten Energie ist für den Export gedacht. Laos will bis 2020 den Status als eines der am wenigsten entwickelten Länder der Welt loswerden. Die Chinesen helfen dabei mit Milliardeninvestitionen. Sie haben den vermeintlichen strategischen Nachteil des Landes, keinen Meereszugang zu haben, in einen Vorteil verkehrt: Sie sehen Laos im Zentrum – als Schaltzentrale im südostasiatischen Festland. Und in einer Schaltzentrale haben die Chinesen gerne Zugang zu Hebeln und Knöpfen.

Text und Fotos: © Copyright Heiner Hiltermann