Heiner Hiltermann, Journalist und Autor
Mühsam windet sich der Bus den Kamm hinauf. Es ist steil hier in den Bergen im Norden von Laos. Brücken und Tunnel gibt es hier nicht, der Bus muss jedes Seitental, jeden Einschnitt, den ein
kleiner Bach ausgewaschen hat, bis an sein Ende ausfahren. Hundert Meter geradeaus sind hier eine Seltenheit. 20 bis 25 Kilometer pro Stunde legt der Bus so zurück, acht bis zehn Stunden Fahrt werden
schnell zu einer Tortur.
Die Landschaft aber entschädigt für die Strapazen: Scheinbar endlos reihen sich die Bergketten hintereinander und verlieren sich in der Ferne im Dunst. Die Hänge sind in einiger Entfernung von der
Strasse noch häufig mit wucherndem Urwald bedeckt. Hin und wieder bilden blühende Jacarandas rote Inseln. Die Siedlungen ziehen sich die Kammlinie entlang, die Häuser kleben aneinander gereiht am
Hang. Sie stehen oft auf Stelzen, die Wände sind aus einem Bastgeflecht, das zwischen die Pfosten geklemmt ist. Es muss ein angenehmes Raumklima sein, auch wenn es weiter oben kaum noch
Fenstereinschnitte gibt und es drinnen vermutlich ziemlich dunkel ist.
Neben uns im Bus auf einem Plastikhocker im Mittelgang sitzt eine Frau vom Volk der Akha-Loma, wie wir später mit Hilfe von Fotos in der Touristeninformation von Phongsaly erkennen. Sie trägt eine
bunt-rot-orange gestreifte Kappe, die mit einem langen Silbernagel im Haar befestigt ist. Hier oben leben eine ganze Reihe von Bergvölkern, die in den vergangenen paar hundert Jahren aus dem Süden
Chinas zugewandert sind. Äusserlich unterscheiden sie sich voneinander durch die Tracht ihrer Frauen.
Unsere Nachbarin ist die erste, die wir (verstohlen) von Nahem bewundern können. Sie wird auch eine der Wenigen bleiben. Denn Trachten tragen die Frauen in den per Bus erreichbaren Gebieten kaum
noch. Nur in Dörfern in der Nähe von Touristenzentren wie Luang Namtha, die als "kulturelles Erbe" ausgeschildert sind, warten junge Frauen in Tracht auf Besucher. Wir sind mit dem Leihrad
hingefahren, mit gemischten Gefühlen. Zu Recht: Die Frauen spielen nur noch ihre Rolle im Bauernhofmuseum. Nebenan steht ihr Motorroller, auf ihrem Handy lesen sie gerade die neueste Mail. Wir haben
das Fahrrad bald wieder zurückgegeben.
Unsere Nachbarin im Bus aber ist echt. Sie ist mit ihrem kleinen Kind, vielleicht drei, vier Jahre alt, ein paar Dörfer nach Pak Nam Noi zugestiegen, einer Kreuzung, an der sich die Strassen nach
China und Vietnam trennen. Dort waren wir ein paar Frauen in Tracht begegnet, die Schmuck an die wenigen Touristen verkauften. Im Dorf unserer Nachbarin waren uns noch viele Frauen in Tracht
aufgefallen.
Die kurvenreiche Strasse setzt vielen zu, auch dem Kind. Irgendwann erbricht es. Wir reichen der Frau schnell eine paar Servietten und eine Plastiktüte, die der Busbegleiter in weiser Voraussicht
vorher en gros verteilt hat. Und, oh Wunder, die Frau lächelt dankbar. Es ist die erste emotionale Reaktion, die wir in Laos erfahren. Die Menschen sind höflich, aber sehr distanziert. Selbst Mellis
Lächeln, das sonst überall schnell die Herzen öffnet, bleibt hier meist unerwidert. Nach vierzehn Tagen Laos kann Melli die emotionalen Reaktionen noch immer an einer Hand abzählen! Sie hat in den
Blicken der Menschen eine "sozialistische Leere" erkannt. Aber sind wirklich Planwirtschaft und Einparteienstaat für die emotionale Distanz verantwortlich?
Unsere Bus-Nachbarin belässt es bei einem einzigen Lächeln. Als sie wenig später aussteigt, würdigt sie uns keines Blickes.