Heiner Hiltermann, Journalist und Autor

Langsam gleitet das Boot durch die Morgendämmerung, der Motor tuckert leise. Immer wieder überholt uns ein grösseres Boot, Frachtkähne kommen uns entgegen. Dann schwappen die Wellen bis an die Bordkante. Der Bootsführer ist ein erfahrener Mann: Es gelingt ihm immer wieder, die Kielwellen so geschickt anzuschneiden, dass das Wasser draussen bleibt. Es herrscht auch zu früher Stunde reger Betrieb auf dem Mekong.
Leichter Nebel hängt über dem Fluss und verschluckt das Morgenlicht. Deshalb haben wir es nicht so eilig wie andere, nach Cai Rang zu kommen. Dort findet täglich der grösste schwimmende Markt im ganzen Mekongdelta statt. Touristen kommen zuhauf und sind enttäuscht, weil das Licht für gute Fotos nicht ausreicht. Aber auch bei optimaler Ausleuchtung wäre es schwierig: Immer wieder fahren Touristenboote vor die Linse, gerade wenn man das schönste Motiv im Fokus hat.
Die Händler, viele Frauen darunter, kümmern die neugierigen Besucher nicht. Sie müssen bis um neun Uhr ihre Kartoffeln, Melonen, Ananas an den Mann/die Frau gebracht haben, damit die Ware noch rechtzeitig auf die lokalen Märkte kommt. Gnadenlos wird gedrängelt und wenn ein Boot mal aus dem Ruder läuft auch herzhaft und schadenfroh gelacht. Kohlköpfe werden zielsicher von einem Boot zum anderen geworfen. Geredet wird kaum, der Preis ist längst ausgehandelt.
Immer wieder steuern "Versorgungsboote" die Touristen an, Frauen, die Kaffee, Tee und Sandwiches zum Frühstück verkaufen. Geschickt halten sie Kurs, Bord an Bord, und rufen ihr Angebot herüber. So schnell wie sie gekommen sind, sind auch wieder weg, auf zum nächsten potenziellen Kunden.
Nach einer Stunde Markt haben wir genug gesehen, der Bootsführer steuert in einen kleinen Seitenkanal, stellt den Motor ab und rudert mit leichten Schlägen weiter. Strömung gibt es hier kaum. Eine Reisnudelfabrik liegt am Ufer und ist offensichtlich Teil unseres Ausflugprogramms. Eine Frau streicht einen ziemlich flüssigen Reisbrei dünn auf ein gespanntes Tuch, unter dem ein Ofen heissen Dampf erzeugt. Mit einem geflochtenen Bambusstab nimmt ein zweiter Helfer die fast durchsichtigen runden Fladen ab und legt sie auf Bambusmatten zum Trocknen. Später werden sie mit einer Maschine in feine Streifen geschnitten, Platte für Platte, und die fertigen Nudeln mit gekonntem Schwung auf ein Blech gestapelt. So werden sie auf den lokalen Märkten verkauft. Reisnudeln sind Bestandteil fast jeder vietnamesischen Mahlzeit.
Weiter landeinwärts gleitet das Boot, links und rechts sind Häuser aufgereiht, Boote liegen am Ufer, Stege ragen ins Wasser. Frauen waschen ihre Wäsche, spülen Geschirr, bereiten das Frühstück. Zum Kanal hin die Häuser ziemlich offen, nur ein Vorhang sichert hin und wieder die Privatsphäre.
So haben wir es auch in Kambodscha gesehen und – weniger oft – auch in Laos. Geschätzt 2000 Kilometer sind wir nun dem Mekong stromab gefolgt, einem der ganz grossen Flüsse Asien. Von Houay Xai im Norden von Laos bis ins Delta in Südvietnam, wo der Fluss sich in mehrere immer noch mächtige, kilometerbreite Arme aufspaltet. Auf der Busfahrt nach Ho Chi Minh City, früher Saigon, überqueren wir sie auf neuen, weitgespannten Brücken, die die Fähren an den Hauptstrassen überflüssig machen. Wir staunen über die vielen Boote und Schiffe, die Häuser am Ufer, oft auf Stelzen an die Böschung gebaut, und über die endlosen Reisfelder im Hinterland. Das Mekongdelta ist Kulturland, die Reisschüssel Südvietnams, hier werden zwei bis drei Ernten pro Jahr eingebracht, dank der fruchtbaren Sedimente, die der Strom aus dem Himalaya mitschleppt. Nur ganz im Süden hat der Fluss seine Schuldigkeit getan, dort darf er in Sümpfen versickern, bevor sich seine Wassermassen ins Südchinesische Meer ergiessen.

Text: © Copyright Heiner Hiltermann, Fotos: © Copyright Melli Fleig und Heiner Hiltermann