Heiner Hiltermann, Journalist und Autor
"Ich würde mich gerne mit Ihnen unterhalten, um mein Englisch zu verbessern", begrüsst uns Hoang am Abend im Park an der Pham Ngu Lao Strasse in Ho Chi Minh City, früher Saigon. Vor uns spielen
ein paar Männer eine Art Fussball mit einem gefiederten Pfeil mit flacher, breiter Kunststoffspitze, andere spielen Badminton, eine Horde Jugendlicher übt Reihenspiele. Gegenüber geniesst ein alter
Europäer im Rollstuhl das Treiben, eine einheimische Pflegerin an seiner Seite.
Es ist längst dunkel und wir sind etwas überrascht von der Anrede. Wir halten unsere Taschen fester, man hört ja so manches. Aber Hoang will tatsächlich ihr Englisch üben und lässt sich auch nicht
durch unseren Einwand beirren, wir seien Deutsche und des Englischen längst nicht so mächtig, wie sie das vielleicht hoffe. Hoangs Schwester Anh sitzt nebendran, lächelt und nickt heftig. Und so
bekommen wir in einer halben Stunde einen kurzen, bruchstückhaften Einblick in das Leben von jungen Frauen in der Millionenstadt.
Hoang ist erst vor kurzem nach HCMC zurückgekehrt. Sie ist mit einem Franzosen verheiratet, hat sieben Jahre in Frankreich gelebt, dort auch einen dreijährigen Sohn. Aber in der Nähe von Nantes ist
sie nicht heimisch geworden, es hat sie zurück nach Vietnam gezogen. Ein Jahr gibt sie sich Zeit, um Fuss zu fassen. Sie kann wieder nach Frankreich zurück, ihr Mann hat Verständnis für ihre
Probleme.
Hoang hat Kunstgeschichte studiert, aber nicht abgeschlossen. Jetzt sucht sie vergeblich einen Job – die Arbeitslosigkeit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist eines der Hauptprobleme Vietnams.
"Du brauchst entweder Geld oder Beziehungen oder du musst schön sein", fasst Hoang ihre Erfahrungen zusammen. Das ist kein fishing-for-compliments. Hoang ist zweifellos eine schöne Frau, doch
offensichtlich gehört sie der Khmer-Minderheit an und entspricht nicht dem vietnamesischen Schönheitsideal.
Hoang klagt nicht und macht auch keinen unglücklichen Eindruck, im Gegenteil. Sie lacht viel und streicht Melli gern über den Arm. Ihre Schwester Anh ist ruhiger, versteht womöglich auch nicht
so gut Englisch. Hoang ist erst einmal bei ihrer Schwester untergekommen. Die hat es aus ihrem kleinen Dorf im Mekongdelta ebenfalls in die Grossstadt gezogen. Als eines von acht Kindern hat sie dort
für sich keine Perspektive gesehen. Die beiden Schwestern teilen sich ausserhalb der Innenstadt ein kleines Zimmer. Anh ist ebenfalls auf Jobsuche, wovon sie leben haben sie uns nicht erzählt. Um
Hilfe bitten sie uns nicht. Und bevor sie uns ein Angebot als Altenpflegerinnen machen können, wie Melli befürchtet, versiegt das Gespräch und jeder geht seiner Wege.