Heiner Hiltermann, Journalist und Autor
Über dem Potala Palast weht die chinesische Fahne, auch über dem Jokhang-Tempel und überhaupt über fast jedem der Häuser in traditionellem tibetischem Baustil in Lhasa und in den Dörfern, die wir auf unserer Fahrt Richtung nepalesische Grenze passieren. Die Zugänge zu den heiligen Stätten in Lhasa werden von der Polizei streng kontrolliert, auf dem Barkor-Rundgang patrouillieren bewaffnete Einheiten. Die Regierung in Beijing zeigt unübersehbar, wer in Tibet das Sagen hat.
Den vielen tibetischen Pilgern scheint das egal. Mit ihren schwarzen Wollröcken, ihren farbenfrohen Schürzen und ihren roten Filzstiefeln und den bunten Bändern und Türkisen im Haar umrunden sie auf ihrer Kora die Tempel, Klöster und Paläste, als gäbe es keine Schikanen. In sich versunken Gebete murmelnd, und doch immer offen für ein kurzes Gespräch mit Händen und Füssen mit uns neugierigen Touristen, die wir nur staunen können über soviel gläubige Inbrunst. Die erste Frage gilt immer unserem Alter. Melli vor allem erntet dann anerkennende Blicke und oft ein Schulterklopfen oder gar eine Umarmung.
Auf dem Land wird zur Zeit die Aussaat vorbereitet. Mit Pferde-, Esel- und Yakgespannen pflügen die Bauern ihre Felder in den weiten Schwemmebenen der Flüsse, Traktoren sieht man selten. Schmale Kanäle durchziehen die Äcker, ohne Bewässerung würde hier oben nur wenig gedeihen. Ohnehin ist die Feldfrucht auf 4000 Metern Höhe eingeschränkt: Gerste wächst hier hauptsächlich und ein bisschen Weizen. Gerstenmehl vermischt mit Yakbutter ist als Tsampa die Nationalspeise der Tibeter. Kartoffeln würden im Boden verfrieren und Gemüse – Spinat, Gurken, Kohl – wird nur in aus Plastikplanen und Lehmwänden bestehenden Gewächshäusern angepflanzt. Die stehen immer wieder mal neben einem der währschaften tibetischen Gehöfte. Zweistöckig mit weissem Lehmputz stehen die Häuser meist in einem kleinen Weiler neben der Strasse, die Eingänge häufig reich verziert und bunt bemalt, die Fenster schwarz umrandet. Und auf den Dächern wehen Gebetsfahnen im Wind.
Weit ist die Landschaft, braun und karg. Und über der Wüste strahlen die hohen Berge in ewigem Schnee. Kalt ist es hier. Im Yakzelt im Everest Base Camp übernachten wir bei Minusgraden, daran ändert auch der mit Yakdung befeuerte Ofen wenig. Doch wir werden entschädigt durch den Blick in der Morgensonne auf den höchsten Berg der Welt.