Heiner Hiltermann, Journalist und Autor
Jubelnd reisst der Sieger den rechten Arm nach oben, er hat seine Gegner um mehrere Pferdelängen geschlagen. Die anderen Pferde und Reiter sind in einer Staubwolke fast nicht mehr auszumachen. Die
Zuschauer sind aufgesprungen, winken, ein paar jubeln. Wir sind bei einem Pferderennen zu Gast, in einer weiten Graslandschaft mitten auf dem tibetischen Hochplateau. Um uns herum nur Tibeter, alle
in ihre weiten Mäntel mit unendlich lagen Ärmeln gehüllt, die Frauen in ihrer dunklen Tracht mit bunten Bordüren und den silberverzierten Gürteln. Die Gesichter sind gegen Staub und Sonne mit einem
Schal geschützt.
Ein glücklicher Zufall hat uns hierher geführt. Wir wollten uns in Langmusi – eine Kleinstadt an der Grenze zwischen Provinzen Sichuan und Gansu – nach dem Busbahnhof erkundigen, als uns ein junger
Mann seine Hilfe anbot. Shangkai kommt aus Taiwan und studiert dort westliche und chinesische Medizin, ein achtjähriges Studium. Er nutzt jede freie Minute, um China kennenzulernen.
Plötzlich fragte er uns, ob wir nicht Lust hätten, ein tibetisches Pferderennen anzuschauen. Er hatte in seinem Hostel davon gehört und ein Taxifahrer hatte ihm angeboten, ihn für 60 Yuan,
umgerechnet etwa sieben Euro dorthin zu bringen, es seien immerhin 20 bis 30 Kilometer. Das Taxi fährt uns durch eine wunderschöne Landschaft und biegt schliesslich auf einen Feldweg ein. In der
Ferne verlieren sich ein paar Zelte in der weiten Landschaft, daneben eine Menge Autos und einige Pferde. Dort soll das Rennen stattfinden.
Mitten in einer weiten Ebene, umgrenzt von hohen Bergen, haben sich bereits hunderte Tibeter zum Rennen eingefunden. In kleinen Gruppen sitzen sie und unterhalten sich. Wir sind die einzigen
Touristen hier, das sehen wir schnell, und fühlen uns ein bisschen fehl am Platz. Aber die meisten Tibeter beachten uns gar nicht, nur hin und wieder ein hören wir ein "Hello". Ein paar
Verkaufsstände sind auch da, Getränke, Snacks, Süssigkeiten. Doch viel Andrang herrscht dort nicht. Ein Stand verkauft breite Schärpen aus Brokat-ähnlichem Stoff in Gold und Grün und Rot. Wir
rätseln.
Um 15 Uhr soll das Rennen starten, hat Sangkai in Erfahrung gebracht. Noch fünf Minuten bis dahin und noch macht niemand Anstalten, an den Zaun zu gehen, der die Rennbahn – ein einfacher, grosser
Kreis unter hellblauem, weitem Himmel – von den Zuschauern trennt. Wir schauen uns um, staunen, sind begeistert von der Landschaft und fühlen uns wie in einem Ethno-Roadmovie. Nur, das hier ist
echt!
Gegen halb vier kommt dann endlich Bewegung in die Menge. Einige sind mit ihren Autos dicht an den Zaun herangefahren, der besseren Sicht wegen. Es nützt ihnen nichts. Die Menschen hocken sich auf
den Boden, viele haben eine Matte dabei. Man unterhält sich, schaut sich nach uns um, die so augenfällige Minderheit. Mit dem Startschuss springen alle auf, feuern ihren Reiter an. Nach fünf Minuten
ist das Rennen gelaufen. Und weil es nur ein Rennen gibt, kehren alle jetzt auch schnell zu ihren Autos zurück. Über dem Platz schwebt eine dichte Staubwolke.
Auch wir machen uns auf den Heimweg. Dabei passieren wir ein Gruppe Tibeter, die einen Apfelschimmel umringt, der über und über mit den Brokattüchern bedeckt ist. Endlich wissen wir, wofür sie gut
sind. Ist das der Sieger? Nicht ganz, nur der Zweitplatzierte. Aber auch der will geehrt werden. Die Autos, die uns passieren, sind übervoll, wir haben keine Chance, mitgenommen zu werden. Sangkai
ruft den Taxifahrer an.