Heiner Hiltermann, Journalist und Autor

Penba schüttelt den Kopf und lacht: "Wenn ich unsere Schafe und Ziegen hüten muss, dann gibt es Chaos, die Tiere laufen wie sie wollen. Meine Brüder dagegen pfeifen nur kurz, und schon geht die ganze Herde in die richtige Richtung." Glücklicherweise ist Penba nicht im Hauptberuf Schafhirte, das macht er nur im Winter, wenn die Touristen ausbleiben, denen er die Schönheiten seiner Heimat nahebringt. Penba ist unser Guide durch Tibet, die autonome Provinz Chinas, durch die die Regierung in Beijing Gäste aus dem Westen nur in offizieller Begleitung reisen lässt.
Penba hat das Schafehüten erst mit 18 Jahren gelernt. Als er fünf war, haben ihn seine Eltern zu einem Onkel nach Indien geschickt, der ihm den Besuch einer guten Schule ermöglichte. In einem tibetischen Kloster bei Mysore hat Penba Englisch gelernt, Naturwissenschaften, tibetische Religion und eine Ausbildung zum Elektriker absolviert. Als er 18 war, starben sein Onkel und seine Tante kurz hintereinander. Penba vermisste seine Familie und kehrte zurück nach Tibet.

Zuerst hat er Probleme gehabt, mit der Höhe natürlich, seine Familie lebt 4500 Meter über dem Meer. Zwei Monate lag Penba höhenkrank im Spital. Dann wollte ihn seine Mutter auch mit der Frau seiner beiden Brüder verheiraten – bei den nomadischen Viehzüchtern in Tibet ist die Polyandrie noch weit verbreitet, um die Arbeitskräfte beisammen zu halten. Bis zu fünf Mal im Sommer wechseln die Nomaden ihre Weideplätze, müssen die schweren Zelte aus Yakhaar ab- und wieder aufgebaut  und die Schafe, Ziegen, Yaks und Pferde über die Berge getrieben werden. Gegen die Ehe mit seiner Schwägerin hat Penba sich erfolgreich gewehrt. Als Arbeitskraft bei der Viehzucht, hat er seinen Eltern klargemacht, war er ohnehin nicht zu gebrauchen.
Penba hat ein bisschen herumprobiert, in einem Restaurant geholfen, kochen gelernt und schliesslich die Ausbildung zum Touristenführer gemacht. Der Job liegt ihm, er knüpft schnell Kontakt und die tibetische Götterwelt mit ihren hunderttausend Manifestationen von Buddha beherrscht er perfekt. Und im Winter, wenn keine Gäste kommen, hilft ihm sein 80jähriger Vater beim Schafehüten. Der wundert sich dann über die mangelnde Kondition seines Jüngsten, wenn sie den Tieren über die Berge zu den Weideplätzen folgen. Penba staunt über die Ausdauer und Kraft seines alten Vaters.
Zuerst aber, wenn er heimkommt, wartet eine ganz andere Arbeit auf Penba: Dann muss er erst einmal alle defekten elektrischen Geräte reparieren. Nicht nur die seiner Familie, die ganze Nachbarschaft wartet sehnsüchtig, dass Radio und Fernseher wieder funktionieren. Penba schmunzelt, wenn er das erzählt. Er ist sichtlich zufrieden mit seinem Leben. Seine Entscheidung, zurück nach Tibet zu kommen, hat er nie bereut.

Text: © Copyright Heiner Hiltermann; Fotos: © Copyright Melli Fleig