Kunst im Wettbewerb
Sanil Bhart Mohite
Der Crawford Markt in Bombai ist immer einen Besuch wert: die Verkaufsstände stehen eng beieinander, eine ganze Strassenzeile ist den Stoffgrosshändlern reserviert,
die dicken Ballen türmen sich; Frauen in bunten Saris verkaufen Obst und Gemüse, die Fischverkäufer riecht man schon von weitem. Schokolade, Tee, Gewürze – hier bekommen Bombais Bürger alles, was sie
sich wünschen. Der Markt ist alt, man sieht es den Shops und vor allem den Häusern an, wenn man den Blick weg von den Waren auf den zweiten, dritten Stock lenkt.
Nicht weit entfernt liegt ein parkartiges Gelände, Kolonialgebäude stehen im Schatten grosser alter Bäume. Ein Uniformierter bewacht den Zutritt. Ein Regierungsgebäude? Polizei, Militär? Eher nicht:
Im etwas verwilderten Park stehen unzählige alte und moderne Skulpturen. Ein im Grün verstecktes Schild klärt endgültig auf: «Sir JJ School of Art»! Der Wachmann winkt uns durch: Heute ist Tag der
offenen Tür, zu Ehren der Gründung am 2. März 1857 findet ein Porträt-Wettbewerb statt, an dem jeder teilnehmen kann, der sich traut. An jeder Ecke wird gezeichnet, aquarelliert oder Ton zu Köpfen
geformt, die Freundin, der Onkel oder der Bruder stehen Modell. und Zuschauer gibt es auch: Jedes vermeintliche Talent wird kritisch beobachtet.
Ein junger Mann fällt auf: Stehend und beinahe nebenbei zeichnet er das Modell eines Bildhauers, ein stattlicher Mann mit mächtigem Schädel, weissem Haarkranz und wallendem Bart. Man sieht sofort:
Der junge Mann strichelt nicht nur wie viele andere, er fängt den Ausdruck des Modells ein, seinen Stolz, sein Selbstbewusstsein. Kein Wunder, verrät Shukant Tave, der den Wettbewerb fotografisch
begleitet: Sanil Bhart Mohite ist Meisterschüler von Sir Vasudev Komot, einem bekannten Künstler und mittlerweile emeritierten Professor an der JJ Kunstschule. Und noch etwas verrät Shukant Tave:
Sanil Mohite darf hier studieren, obwohl er weder Lesen noch Schreiben gelernt hat. Doch ein solches Talent darf man offensichtlich nicht an einer so banalen Hürde scheitern lassen. Ein paar
Grundlagen lernt er wohl auch hier: Fast liebevoll malt er seine Telefonnummer in mein Schreibheft, die drei Einsen am Schluss bekommen wohlgeformte Füsschen.