Heiner Hiltermann, Journalist und Autor

 

"Not possible", sagt die Frau am Empfang und schüttelt unwirsch den Kopf.

"Not possible" hört man selten in Indien, wo eigentlich alles möglich ist, auch wenn es hinterher nicht realisiert werden kann. Aber wir sind in Pondicherry in einem Guesthouse des Sri Aurobindo-Aschrams untergekommen. Dem Aschram gehört die halbe Stadt, vor allem die Filetgrundstücke an der Strandpromenade.   In den Aschram-Liegenschaften herrschen eigene Regeln: Kein Alkohol auf dem Zimmer, kein Nikotin, kein Sex. Um 22.30 Uhr ist Bettruhe, dafür darf man schon um 5.30 Uhr aufstehen. Frühmorgens ist tatsächlich viel Betrieb, man hört Türenschlagen und Stühlerücken – einige Gäste eilen zur Morgenmeditation. Überall hängen Fotos von Sri Aurobindo und "The Mother", seiner französischen Muse, die den Kult um den Guru erst richtig angefacht hat. Daneben hängen Segenssprüche der beiden, die hilfreich durch die Tücken des Alltags leiten sollen: Hass, Begierde, Stolz sollen wir besser in der Mülltonne entsorgen, harte Arbeit, Disziplin und Ausgeglichenheit dagegen suchen.

Wir aber wollten gar keinen Alkohol aufs Zimmer nehmen oder erst um 23 Uhr ins Bett, eine Orgie anmelden schon gar nicht. Wir wollen das Zimmer nur für drei, vier Tage mieten. Ein Zimmer für mehrere Tage? "Not possible." Eine Nacht, dann müssen wir das Guesthouse verlassen. Wir dürfen allerdings am nächsten Morgen  noch einmal fragen.

 

Am nächsten Morgen fragen wir, denn es lohnt sich – das Guesthouse liegt direkt am Meer, unser Zimmer ist wirklich schön, ebenerdig, mit Terrasse und Garten. Nur ein Zaun hindert uns am Blick auf die Wellen, aber wir hören die Brandung. Der Zaun soll Strandspaziergänger abhalten, in den Guesthouse-Meditationsgarten zu schauen.

Die Frau am Empfang ist wie ausgewechselt: Sie schaut in eine Liste und gibt uns das Zimmer für zwei weitere Nächte. Den Wechsel in ein oberes Stockwerk mit Balkon und direktem Meerblick aber verweigert sie uns, es sei alles belegt. Zwei Frauen die nach uns kommen, können problemlos oben einziehen. Die Vergaberegeln sind ziemlich undurchsichtig, offenbar verteilt die Frau die Zimmer nach eigenem Gutdünken.

Wir sind nicht die einzigen, die fragend die Stirne runzeln: Eine alte Israelin nebenan würde gerne zehn Tage bleiben, muss aber am nächsten Tag raus; eine Südafrikanerin, die ihrem Sohn die indischen Wurzeln zeigen will, geht freiwillig, sie hat die Nase voll; eine Französin klagt, dass ihr Bekannter, der später angereist ist, ein grösseres und schöneres Zimmer bekommen hat als sie und auch noch weniger zahlt. Zudem darf er vier Tage am Stück bleiben und hinterher noch einmal fragen, wenn er bleiben will. Mysteriös!

 

Die Angestellten begreifen die Regeln offenbar auch nicht so richtig. Eine Reinemachefrau zeigt Melli die Aussicht von einem oberen Zimmer – fantastisch. Und es sei frei. Wir fragen noch einmal, auch auf die Gefahr hin, keine weitere Verlängerung zu bekommen. Die Frau am Empfang bedauert, alles sei belegt. Sie lächelt verlegen, vermutlich sagt sie nicht die ganze Wahrheit und ahnt, dass wir es wissen.

Als wir nach drei Tagen noch einmal um eine eintägige Verlängerung bitten, rügt sie uns: Dieses ständige Bitten um einen Tag Verlängerung sei nicht in Ordnung, wir sollen uns entscheiden, wie lange wir bleiben wollen. Daraus soll einer schlau werden! Doch wir nehmen es mit Humor. Der steht auch auf Sri Aurobindos To-do-Liste.

Text und Fotos: © Copyright Heiner Hiltermann