Heiner Hiltermann, Journalist und Autor

Gemächlich gleitet das Boot dahin. Der Motor tuckert leise. Am Ufer ziehen Kokospalmen vorbei, ab und an mal ein Haus in lila, grün oder orange. Die Menschen, die an den Kanälen und Seen Keralas leben, den Backwaters, sind ein farbenfrohes Volk. Kinder planschen im Wasser, Frauen waschen ihre bunten Saris, trocknen sie am Ufer. An der gleichen Stelle wird das Geschirr gespült, werden die Haare gewaschen. Das Wasser ist ihr Lebensraum.

Geruhsam geht es zu, viele Boote haben gar keinen Motor, sie werden mit Stechpaddeln oder gar mit langen Bambusstangen bewegt – die Gewässer hier sind offenbar nur ein, zwei Meter tief. Für die Vögel sind das ideale Lebensbedingungen: Unzählige Arten – weisse, schwarze, grüne, rote und eine metallisch blau schimmernde – fliegen am Boot vorbei, sitzen in den Ästen der Mangroven am Ufer oder schwimmen auf dem Wasser. Und darüber kreisen Adler und Geier. Für Ornithologen muss das ein Paradies sein.

Wir sind mit einer öffentlichen Fähre unterwegs, zweieinhalb Stunden von Alapphuza nach Kottayam. Immer wieder steuert sie einen Anleger an, entlässt ein, zwei Passagiere, nimmt weitere an Bord. An manchen Häusern parkt ein Motorroller, manchmal auch ein Auto – so ganz abgeschieden und vom Wasser abhängig sind die Menschen offensichtlich doch nicht.

Fischer sind in ihren Booten unterwegs, werfen ihre Netze aus. Einmal sehen wir einen Mann am Ufer, der mit Pfeil und Bogen aufs Wasser zielt. Wir sind zu schnell vorbei, um seinen Erfolg zu bewundern. Am Tag darauf fahren wir mit der Fähre acht Stunden nach Kollam. Es sind nur Touristen an Bord, das Boot hält nur einmal zum Lunch und einmal am Nachmittag. Zu unserer Verwunderung steigen hier an einem gottverlassen scheinendem Anleger viele Reisende aus, junge coole Traveller und alte altmodische. Der "Lonely Planet" klärt uns auf: Hier ist der Zugang zur Matha-Amrithanandamayi-Mission, hier lebt "Amma", ein weiblicher Guru, die in der ganzen Welt durch ihre Massenumarmungen berühmt ist. Wir hatten uns schon gewundert: Die Abschiedsumarmungen am Kai fielen ungewohnt intensiv aus.

Text und Fotos: © Copyright Heiner Hiltermann