18 Stunden bis Parapat
Der Samstag sollte ein langer Tag werden. Wir hatten den Nachtbus an den Toba-See gebucht, ein kleines Juwel im Hochland von Sumatra. Das Volk der Batak lebt dort,
einst als Kannibalen berüchtigt, seit Anfang des des 19. Jahrhunderts jedoch presbyterianisch christianisiert.
Dem Nachtbus nach Parapat eilt ein schlechter Ruf voraus: Er ist unpünktlich, die Temperatur wird während der Fahrt auf unter 15 Grad gekühlt und es dudelt die ganze sechzehnstündige Fahrt über
indonesische Popmusik in voller Lautstärke. Wir machen uns auf einiges gefasst.
Fünf Uhr nachmittags ist ein schlechter Fahrtermin für Touristen – um elf Uhr muss man das Zimmer räumen. Volle sechs Stunden lang ist man darauf angewiesen, sich die Zeit zu vertreiben. Wir bummeln
über den zentralen Platz von Bukittinggi, unter dem großen Uhrturm und beobachteten die Menschen. Uns fällt auf, dass mindestens neunzig Prozent der Frauen den Hijab trägt, den Schleier, der eng das
Gesicht umrahmt und wie ein Kurzponcho über die Schultern fällt. Selbst kleine Mädchen tragen dieses uns befremdende Kleidungsstück.
Gegen vier Uhr sind wir zurück in unserem Guesthouse, wo unser Gepäck steht. Lin, die Besitzerin, hebt bedauernd die Schultern, als sie uns erblickt. «Es tut mir Leid», sagt sie. «Der Busorganisator
hat angerufen und mitgeteilt, der Bus sei noch gar nicht in Padang abgefahren.»
Wir hatten die Fahrt von Padang nach Bukittinggi vor fünf Tagen ebenfalls hinter uns gebracht und wussten, zweieinhalb bis drei Stunden braucht der Bus für die Strecke. Vor sieben, halb acht Uhr
würden wir nicht abfahren! Müde und ergeben fügen wir uns in unser Schicksal und nutzen die Gelegenheit, mit Lin über unsere Eindrücke zu sprechen. Lin hat chinesiche Wurzeln und ist Buddhistin. Sie
bestätigt unsere Wahrnehmung, der Islam nehme zunehmend Einfluss auf das Leben der Menschen in Indonesien. Als Guesthouse-Betreiberin ist sie direkt von dem neuen Gesetz betroffen, das außerehelichen
Geschlechtsverkehr bei Strafe verbietet. Sie muss sich von Paaren die Heiratsurkunde zeigen lassen. In der Oberschule müssen mittlerweile auch nichtmuslimische Mädchen den Hijab tragen. Besonders
betroffen ist Lin von der nahen Moschee: Um vier Uhr morgens weckt der Muezzin ihre Gäste mit Lautsprecher verstärkten Koranzitaten. Erst um sechs Uhr hört er auf! Dazu kommen Diskussionen,
Predigten! Das Ganze fünf mal am Tag. Sie verteilt an ihre Gäste kostenlos Ohrstöpsel. Als wir von Indoktrination reden, hält sie sich erschrocken die Hand vor den Mund. «Psst», sagt sie, «nicht so
laut!»
Mehrere Telefonate folgen mit immer neuen Abfahrzeiten. Um halb acht Uhr schließlich verabschieden wir uns von Lin und lassen uns von einem Taxi zum gut zwei
Kilometer entfernten Busbahnhof bringen. Dort warten bereits sieben weitere Fahrgäste. Es wird neun Uhr, als der Bus endlich vorfährt. Dann muss alles ganz schnell gehen. Fünf Minuten nach neun Uhr
sind wir auf der Straße – um keine drei Minuten später vor einem Runah Makan einzuparken, wörtlich ein Ess-Haus. Klar, die Fahrgäste von Padang sind hungrig oder wollen zumindest auf die Toilette.
Das kann ja heiter werden!
Gespannt richten wir uns ein. Immerhin gibt es Decken! Dann geht es endlich los. Und oh Wunder, es wird gar nicht so kalt, wie wir erzählt bekommen hatten! Und der Indo-Pop dudelt so erträglich, dass
er fast als Meditationsmusik durchgehen könnte.
An einigen wenigen Haltepunkten steigen Passagiere ein und aus, wir bekommen nicht viel mit. Gegen Mitternacht überqueren wir den Äquator. Der erste längere Halt ist um fünf Uhr morgens an einer
Moschee. Es ist die letzte vor dem Siedlungsgebiet der Batak. Dort an grüßen nur noch Kirchtürme.
Nach erstaunlich erträglicher Nacht verzaubert der Sonnenaufgang kurzzeitig die Aussicht. Rosafarbene Nebelschwaden ziehen über die mit tiefgrünem Dschungel bewachsenen Hänge. Selbst der
Sekundärurwald gleich hinter dem Busfenster wirkt so undurchdringlich, als hätten hier nie Bautrupps eine Straße durchgezogen.
Endgültig versöhnt sind wir mit der Busfahrt, als wir mit nur noch zweistündiger Verspätung Parapat erreichen. Ein Boot bringt uns hinüber zur Insel Samosir mitten im Kratersee Danau Toba. Wie der
Busfahrer die zwei Stunden gut gemacht hat, haben wir nicht bemerkt – glücklicherweise: Er muss gefahren sein, wie der Henker!