On the road again...
Eine lange gemeinsame Autofahrt verbindet, man hat Zeit, zu erzählen, zuzuhören. Wir sind mit Gauri, Ratan und dessen Bruder Nagen unterwegs zum Uluru, jenem roten
Monolithen im Herzen Australien, der vom Himmel gefallen scheint, oder von Aliens dort platziert wurde. Den Aboriginies, den australischen Ureinwohnern ist er heilig. Die wissenschaftliche Erklärung
ist profaner: Ein Sandstein, geschliffen von Wind und Wasser.
Wir sind sechs Tage unterwegs, 4000 Kilometer durch das Outback, meist flache Steppe, viel Sand, Büsche, hin und wieder ein paar Bäume. Immer wieder ein totes Känguru, ein toter Fuchs am Straßenrand.
Selten eine Farm in der Ferne, Rinder und Schafe die einzigen sichtbaren Lebewesen. Vor Schlangen wird gewarnt, vor Skorpionen, Spinnen. Im Outback leben einige der giftigsten Tiere der Welt.
Ratan erzählt, seine Stimme übertönt locker die Fahrgeräusche. Immer wieder geht es um ihre Geschichte, die Geschichte der Flüchtlinge aus Bhutan. Gauri, Ratan und Nagen leben erst seit 14 Jahren in
Australien. 1989 hat sie der in Bhutan absolut herrschende König des Landes verwiesen. Zusammen mit großen Teilen der nepalesischen Minderheit. Der Widerstand gegen die Willkür wurde von
Polizei und Militär brutal gebrochen. Ratan, einer der Anführer des Protestes, saß zwei Jahre in Folterhaft, er verdankt seine Freilassung Amnesty International.
18 Jahre lebten Gauri und Ratan in einem Flüchtlingslager im Osten Nepals und – illegal – in Kathmandu, wo wir die beiden bei Chhimeki kennen und schätzen gelernt haben. 18 Jahre hat Ratan um die
Rückkehr der mehr als 100 000 Menschen in ihre Heimat gekämpft. Vor dem Menschenrechtsrat der UNO in Genf bemühte er sich um internationale Solidarität. Vergeblich. Bhutan ging in dieser Zeit als
«Land of Happiness» in die Geschichte ein, das «Glück» sogar im Bruttosozialprodukt berücksichtigt. Geschicktes Marketing! Von Vertreibungen, Haft und Folter wollte niemand etwas wissen. 2009
schließlich nahmen Gauri, Ratan und ihr Sohn Neesen das Asylangebot Australiens an. Nagen kam mit seiner Familie später nach. Australien, die USA, Kanada, Norwegen und einige andere Staaten hatten
sich bereit erklärt, Kontingente dieser staatenlosen Bhutanesen aufzunehmen. Mittlerweile leben nur noch etwa 5000 Menschen in dem Flüchtlingslager in Nepal. Sie haben die Hoffnung noch nicht
aufgegeben, in ihre Heimat zurückkehren zu können.
Ratan erzählt. Nicht nur von der Vergangenheit, auch von der Gegenwart der bhutanesischen Gemeinschaft in Adelaide. 5000 Menschen haben hier ein neues Zuhause gefunden. Der australische Staat hat gut
für die Einwanderer gesorgt, er verlieh günstige Kredite, sorgte für Arbeitsplätze. Viele ehemalige Bhutanesen sind im Pflegesektor untergekommen, sie kümmern sich um Alte und Behinderte. Natürlich
sind alle glücklich darüber, einen Pass zu haben, reisen und konsumieren zu können. Die Familien – wir waren bei vielen eingeladen – scheinen darum zu wetteifern, wer den größten Fernseher hat, eine
3-Meter-Diagonale ist Standard, dazu ein smarter Kühlschrank, der auf seiner Front Rezepte vorschlägt und per Handy gesteuert werden kann. Eingekauft wird in riesigen Supermärkten, Milch steht in
3-Liter-Plastikcontainern im Kühlregal. Aber der zunehmende Wohlstand kann die Sehnsucht nach der verlorenen Heimat nicht verdrängen. Die Sorge ist groß, die nepalesisch-bhutanesische Kultur zu
verlieren. Die Kinder lernen in der Schule Englisch, Nepali wird nur daheim gesprochen. Und wenn die Familien zusammenkommen.
Eine Gruppe von Frauen, ältere zumeist, trifft sich regelmäßig zum Picknick im botanischen Garten. Geschichten von früher werden erzählt und von den Missverständnissen in den ersten Monaten in
Australien. Englisch sprechen sie auch nach Jahren kaum. Es bleibt der Wunsch, noch einmal mit dem australischen Pass die ehemalige Heimat besuchen zu können. Doch als Geburtsland ist Bhutan
eingetragen, Thimpu verweigert das Visum. Viele reisen nach Indien, nach Darjeeling und Sikkim, um von der Grenze aus einen Blick auf die alte Heimat zu werfen. Selbst die Jüngeren, die keine eigenen
Erinnerungen an Bhutan haben, geben sich dieser Sehnsucht hin. Nur wenigen ist klar, dass ihre Kultur in zwei, drei Generationen nur noch Folklore sein wird.
Ratan und Nagen träumen davon, an der indisch-bhutanesischen Grenze ein Ferienhaus zu errichten. Auf der Terrasse sitzend, wollen sie sich von alten Zeiten erzählen. Auf einem Foto zeigt Ratan den
Grenzfluss, jenseits ist sein ehemaliges Dorf zu erkennen, sein Haus. Unten am Fluss das Ghat, hier werden die Leichname der Verstorbenen feierlich verbrannt. Ratan und Nagen haben hier auch die
Asche ihrer Eltern in den Fluss gestreut, von der indischen Seite aus. Hier soll dereinst ihre eigene Asche mit dem Wasser zum heiligen Fluss Ganges treiben.
Schnell wird das Projekt größer, Ratan will auch seinen Enkelkindern von der Vergangenheit erzählen. Und es gibt viele andere Familien, die ähnlich denken. Ein Begegnungszentrum wäre schön, mit
Ausstellungen, Infotafeln, Vorträgen, Fotos.
Gauri ist nüchterner. Indien hat die Flüchtlinge nie unterstützt, Dehli stand im Gegenteil immer auf der Seite Bhutans. Warum sollte Indien eine solche Provokation an der Grenze zulassen? Ratan und
Nagen lassen sich nicht stoppen. Sie kalkulieren schon, wie groß das Grundstück sein müsste, wieviele Schlafzimmer es haben sollte, wie die Finanzierung laufen könnte. Im Auto läßt es sich herrlich
träumen.