Watu Karung

Unaufhörlich rollen die Wellen an den Strand. Es sind imposante Brecher dabei, die, sich überschlagend, beinahe eine Röhre ausformen, wie sie gute Surfer lieben. Im Mai, Juni sollen die Wellen die richtige Größe haben, sagt unsere Wirtin. Dann quartiert sich für zwei, drei Monate eine kleine Surfer-Elite in Watu Karung ein, die Wellen gelten als die weltweit besten für Bodysurfer. Die großen Fotos in unserer Unterkunft erzählen von den Abenteuern der Profis. Der kleine Ort an der Südküste Javas erwacht dann für kurze Zeit aus seinem Dornröschenschlaf. Jetzt laufen die Wellen sanft auf dem weißen Sand aus.  
300 Einwohner zählt der abgeschiedene Ort. Staatliche Busse fahren nicht hierher, Watu Karung ist nur mit privatem Pkw über eine kleine Teerstrasse zu erreichen, die sich vom Hauptort Pacitan über 20, 25 Kilometer durch dichten Dschungel windet. Viele leben vom Fischfang, eine Bucht weiter liegen an einer Flussmündung bunte Auslegerboote am Ufer. Kaum zu glauben, dass die Männer sich mit diesen schmalen Kanus in die Weiten des Indischen Ozeans trauen. Aber wir sehen sie jeden Nachmittag auslaufen. Dann folgt ein Boot dem anderen, aufgereiht wie auf einer Perlenschnur tanzen sie in den Wellen.
Bei Ebbe werfen Fischer in den zurück bleibenden Lagunen ihre Netze aus. Manchmal verpasst ein Fischschwarm die rechtzeitige Flucht in den offenen Ozean. Ein paar ältere Männer haben am Strand ihre Angeln ausgeworfen. Einer präsentiert stolz einen etwa 50 Zentimeter langen Fisch mit spitzer Schnauze und einer Reihe scharfer Zähne. Es ist der einzige Fang an diesem Nachmittag. Aber darauf kommt es wohl auch nicht an. Einer der Angler wälzt sich genüsslich in den Wellen am Strand, als er sich eingesteht, dass es heute nichts mehr wird mit einem Angelerfolg.
Gleich hinter dem Ort bedeckt Dschungel die steilen Hänge. Auf ein paar kleinen Feldern, Gärten mehr, wird Gemüse angebaut, Karotten, Spinat, Kartoffeln, Cassava. Für Reis ist kein Platz, er muss gekauft werden.
Geruhsam geht es zu: Eine wenig befahrene Hauptstraße geht hinter dem Dorf in eine schmale Teerpiste über. Fünf, sechs Stichstraßen führen zum Strand hinunter. Hühner scharren vor den Häusern im Sand. In der Ferne meckern Ziegen. Einen Lebensmittelladen gibt es, in dem wir eine Packung Kekse oder eine Tüte Erdnüsse kaufen, um die teilweise kargen Mahlzeiten zu ergänzen. Hier wird viel mit Palmöl gekocht, ein Geschmack, an den wir uns erst gewöhnen müssen.
Am Wochenende bevölkern einheimische .Familien den Strand. Väter sammeln mit ihren Kindern Muscheln und Korallen, Paare schlendern über den Sand. Der Tourismus fasst nur langsam Fuß. Einige Familien bieten Homestay. Wir sind zur Zeit die einzigen Gäste im Ort. Es ist nicht die Jahreszeit, sagt unsere Vermieterin. Wir genießen 30 Grad im Schatten, einsame Strände und fantastische Sonnenuntergänge. Ab und an dreht ein Weißkopfseeadler seine Runden über der Bucht. Was kann hier im Sommer schöner sein?

 

 

Text & Fotos: © Copyright Heiner Hiltermann/Melli Fleig