Heiner Hiltermann, Journalist und Autor
Dharamsala heisst der Ort, doch er hat nichts zu tun mit dem gleichnamigen Wohnsitz des Dalai Lama. Dieses Dharamsala ist der letzte Ort vor dem Larkya La, dem laut Karte 5135 Meter hohen Pass,
der das Budhi Gandaki-Tal im Norden und Osten des Manaslu vom Einzugsgebiet des Marsyangdi trennt, der das Tal zwischen Manaslu und Annapurna aus dem Fels gefräst hat. Aber was heisst schon Ort?
Dharamsala besteht aus vier Steingebäuden und einer ganzen Reihe Zelten. Hier müssen alle Wanderer durch, die die Runde um dem Manaslu laufen wollen. Ein Gebäude ist geschlossen, schon etwas
verfallen, war früher die einzige Unterkunft. Ein weiteres bietet zugige und kalte Unterkunft in Mehrbettzimmern für einige wenige Trekker, die anderen kommen in den Zelten unter. Das dritte und
grösste Steingebäude ist die Dining Hall, ein grosses Wort für den schmalen, kalten, rohen Steinbau, in dem sich zum Abendessen die Wanderer an einem einzigen langen Tisch drängen. Vorm ist die Küche
und davor rangeln die Guides, um Bestellungen für Ihre Gäste aufzugeben. Es herrscht ein grosses Durcheinander.
Das vierte und kleinste Gebäude ist das Klo, das derzeit leider völlig verstopft und damit unbrauchbar ist. Wer muss, der darf sich ein Plätzchen in Gottes freier Natur suchen. Sichtschutz bieten
allerdings nur wenige grosse Steinblöcke, Bäume und Büsche wachsen trotz Klimaerwärmung auf 4500 Meter Höhe noch immer nicht. Am frühen Morgen ist das ein Erlebnis: Überall auf freiem Feld blinken
die Stirnlampen. Und auf dem Weg zu seinem eigenen Notdurftplatz muss man höllisch Acht geben, nicht in die frischen, noch nicht gefrorene Hinterlassenschaften der anderen Trekker zu treten.
Den Höhepunkt aber bildet das Frühstück. Am Abend zuvor hatten die verschiedenen Gruppen unterschiedliche Abmarschzeiten vereinbart, um Chaos am langen Tisch zu vermeiden. Aber natürlich will jeder
als Erster los und Chaos ist gar kein Ausdruck für das Gewusel am Morgen. Die grossen Gruppen drängen sich unerbittlich vor. Von unserem Frühstück bekommen wir nur die Hälfte, was beim Aufstieg
später einen kleinen Hungerast zur Folge hat. Nach einer kalten Nacht im Zelt, von der Melli ein paar Flohstiche davonträgt, ist das das i-Tüpfelchen. Wir sind froh, als es endlich um fünf Uhr an den
Aufstieg geht. Schnell sind wir wieder allein.