Heiner Hiltermann, Journalist und Autor

Die Wahlen in Nepal sind vorbei und das Land kehrt zur Normalität zurück. In Kathmandu nimmt der Verkehr wieder zu, die Luft ist wieder erfüllt von ständigem Hupen und der Smog verdeckt langsam wieder die Sicht auf die Berge. Viele Läden aber sind immer noch geschlossen, weil ihre Besitzer noch nicht von ihrem Wahlausflug in ihre Heimatdörfer zurück sind. Wahlergebnisse tröpfeln nur langsam herein, es wird mindestens zehn Tage dauern bis klar ist, welche Parteien gewonnen und welche verloren haben. Das liegt nicht nur an der miserablen Infrastruktur, sondern auch am Wahlsystem: Die Verfassunggebende Versammlung (das Ersatzparlament) hat 601 Sitze; 335 davon werden proportional zum Stimmenanteil im Land an die Parteien vergeben; 240 Sitze entfallen auf die Sieger der Wahlkreise und 26 Abgeordnete werden ernannt, um Minderheiten und Personen, die sich Verdienste um das Land erworben haben, eine Stimme in der Versammlung zu geben. 122 Parteien konkurrierten um die Sitze, in der nun abgewählten Versammlung waren 25 Parteien vertreten, viele nur mit einem Sitz. Obwohl das Wahlergebnis noch lange nicht feststeht, ist das Interesse gross. Überall in der Stadt schallen Nachrichten aus den Radios, in den Restaurants und Geschäften laufen die Fernseher und verkünden den Zwischenstand in einzelnen Wahlkreisen. Verlierer scheinen die Maoisten zu werden, die klaren Wahlsieger von 2008. Ihr Chefideologe Pushpa Kamal Dahal, besser bekannt unter seinem Kampfnamen Prachanda, liegt in seinem Bezirk nur auf Platz drei – Schadenfreude allenthalben. Aber ob sich wirklich etwas ändert in Nepal? Der Wahltag jedenfalls verlief weitgehend ruhig, von einem Bombenanschlag auf ein Wahllokal in unserer Nähe haben wir nur aus der Zeitung erfahren. Es war herrlich in Kathmandu, kein Fahrzeug auf den Strassen, von wenigen Ambulanzen und gelegentlich patrouillierenden Polizei- und Militärfahrzeugen einmal abgesehen. Die Kreuzungen und wichtigen Ausfallstrassen waren von bewaffneten Kräften gesichert. Daneben spielten Kinder Fuss- und Federball, ein Skater nutzte die ungewohnte Freiheit für einen Ausflug. In unserer Unterkunft liefern sich die drei Besitzer heftige Wortgefechte. Devaraj und Ramesh unterstützen die UML, die Marxisten-Leninisten, die bei uns als Sozialdemokraten durchgingen. Gemeinsam mit dem eher traditionell ausgerichteten Nepali Congress (NC) liegt die UML in den Umfragen vorn. Min ist Maoist und derzeit etwas geknickt. "Manchmal gewinnt man, manchmal verliert man", sagt er lakonisch und hofft nur, dass UML und NC zueinander finden und etwas bewegen. Der Stillstand der vergangenen Jahre hat das Land gelähmt, da ist es egal, ob die eigene Partei verloren hat.

Text und Foto: © Copyright Heiner Hiltermann