Heiner Hiltermann, Journalist und Autor
Sozialen Ungerechtigkeiten begegnet man in Kathmandu an praktisch jeder Strassenecke: Hier hat sich ein Mann auf dem Gehweg zum Schlafen ausgestreckt, dort schleppt eine Frau Körbe voller
Ziegelsteine zu einer Baustelle. Es gibt aber auch positive Beispiele, von denen wir in Europa noch lernen könnten.
Am Montag haben wir Gauri und Ratan (wer Mellis Chhimeki-Projekt kennt, wird die Namen schon einmal gehört haben; dazu später mehr) verabschiedet, sie fliegen zurück nach Australien, wo die beiden
bhutanesischen Flüchtlinge eine neue Heimat gefunden haben. In ganz Nepal war ein Generalstreik ausgerufen, am 19. November finden hier Wahlen statt. Uns bescherte der Streik einen
anderthalbstündigen Spaziergang durch die Stadt, den wir sogar geniessen konnten: Kein Smog und freie Sicht auf die sonst verborgenen weiss in der Sonne blinkenden Himalaya-Riesen.
Längst nicht alle Geschäftsinhaber waren dem Streikaufruf gefolgt, aber ausgerechnet das Restaurant, das wir als Treffpunkt ausgemacht hatten, hatte geschlossen. Glücklicherweise entdeckten wir an
einer entfernteren Strassenecke ein Restaurant-Café, das geöffnet hatte. Als wir bestellen wollten fiel auf: Der Kellner war taubstumm. Wir erfuhren, dass dieses Restaurant von Behinderten betrieben
wird, schon seit zehn Jahren. Und es ist Teil einer Kette von mittlerweile zehn Restaurants. Auf den Tischen stehen Tafeln, die über Handzeichen der Taubstummensprache informieren und über
Autismus.
Es war recht leer im Restaurant, wegen des Streiks waren viele Menschen vorsichtshalber daheim geblieben. Wir genossen unsere Momos (gefüllte Teigtaschen), das Massala Dosa (ein hauchdünner
Teigfladen mit Gemüsecurry) und gefiltertes Trinkwasser und waren beeindruckt: Ein solches Restaurant kennen wir in Freiburg nicht, eine solche Kette schon gar nicht.