Heiner Hiltermann, Journalist und Autor

Jarkhot hat ein imposantes Kloster. Mindestens ebenso beeindruckend aber sind die Apotheke für tibetische Medizin und der tibetische Arzt, der sie betreibt. Huku, unser Guide, schleppt seit Beginn unserer Wanderung eine sich stetig verschlechternde Erkältung mit sich herum. Mich haben seine Bakterien natürlich sofort heimgesucht. Über den Lakya La bin ich noch einigermassen gesund hinüber, in Pisang aber spüre ich die schon sattsam bekannten Anzeichen einer beginnenden Nebenhöhlenentzündung. Glücklicherweise gibt es im nächsten Ort Manang einen Gesundheitsposten. Die kanadische Ärztin dort gibt mir ein Antibiotikum. Mit dessen Hilfe habe ich den Thorong La auch einigermassen beschwerdefrei überwunden. Huku aber hatte es abgelehnt, die Station zu besuchen, obwohl wir die Bezahlung übernommen hätten. Jeden Morgen hustet und rotzt er, dass es beim Zuhören schon weh tut. Auf unsere Nachfragen gibt er sich aber immer praktisch als gesund.
Die tibetische Apotheke in Jarkhot wollte uns Huku nur als Besonderheit zeigen. Wir aber nutzen die Gelegenheit, Huku dem tibetischen Mediziner als Patienten vorzustellen. Weil ich mich auch zu einer Untersuchung bereit erkläre, willigt Huku schliesslich widerstrebend ein. Der Arzt ist sehr nett, erzählt zunächst ein bisschen über die tibetische Medizin, die den ganzen Körper betrachtet, und über die tibetischen Arzneien, die in zahllosen Plastikdosen in den Regalen aufgereiht stehen. 250 Heilpflanzen wüchsen allein an den Hängen und Bergen rund um Jarkhot. Rund 100 verschiedene Pulver und Kügelchen werden daraus zusammengemischt.
Hukus Diagnose stellt der Arzt in Nepali, so dass wir die Details nicht richtig mitbekommen. Lange fühlt er den Puls und füllt Huku dann ein Pulver und ein paar schwarze Kügelchen in Plastiktüten ab, die Pillen morgens, das Pulver abends mit heissem Wasser, nach dem Essen. Huku scheint beeindruckt.
Mir fühlt der Arzt den Puls gleich an beiden Handgelenken, dazu will er meine Zunge sehen. Dann erzählt er etwas von den inneren Winden, die in den grossen Höhen in Unordnung geraten seien. Mir füllt er zwei Pülverchen ab, eines nach dem Mittag-, das andere nach dem Abendessen. Beide können gut in heissem Wasser aufgelöst werden, besser sei die Wirkung der Pulver aber noch eingerührt in Porridge, angereichert mit Yakbutter. Ich hasse Porridge, und Yakbutter ist ebenfalls sehr gewöhnungsbedürftig. Dann zeigt uns der Arzt noch den Trockenraum für alle Blumen, Kräuter und Wurzeln, aus denen seine Medizin zusammengemischt wird. Hunderte liegen in den Regalen, ein eigenwilliger, aber nicht unangenehmer Geruch beherrscht den Raum.
Mittags essen wir in Kagbeni. Ich bestelle ein Glas heisses Wasser zum Nachtisch und rühre meine Mittagsmedizin ein. Das Gebräu schmeckt nicht unangenehm, aber Huku schaut mit eher angewiderter Miene zu. Abends aber nimmt er seinen Stoff und am Morgen ist der Husten weg. Huku ist beeindruckt. Tage später frage ich nochmal nach. Huku hat seine Pillen nicht weiter genommen. Er schüttelt sich, seine Medizin muss deutlich anders geschmeckt haben als meine. Er will in Kathmandu zum Arzt, zu einem in westlicher Medizin ausgebildeten.

Text und Foto: © Heiner Hiltermann