Heiner Hiltermann, Journalist und Autor
Routiniert öffnet Parbati Shresta das Ventil. Dampf zischt, Milch schäumt auf. In einem Krug hat sie bereits Tee aufgebrüht. Den mischt sie nun mit der Milch. Ein paar Löffel Zucker dazu, fertig
ist der Milk Tea, den viele Nepali so lieben. Parbati Shresta verdient mit der Vorliebe der Nepali viel Geld, jedenfalls für ihre Verhältnisse. Geholfen hat ihr dabei ein Kredit ihrer
Chhimeki-Spargruppe.
Parbatis kleiner Teestand liegt im ersten Stock eines grossen Einkaufskomplexes mitten im Zentrum Kathmandus. Kleine Boutiquen gibt es hier, Schmuckläden, Telefonshops. Kathmandus erste Rolltreppe
verbindet die Stockwerke.
Parbati füllt den Tee in sechs kleine Plastikbecher, ihr Mann eilt mit dem Tablett davon: Im Erdgeschoss hat ein Händler Tee bestellt, wohl um mit Kunden ein gutes Geschäft zu beschliessen. Parbatis
Mann nutzt eine kleine Hintertreppe, so ist er schneller am Ziel und der Tee noch heiss – die Zufriedenheit der Kunden steht bei Parbati an oberster Stelle.
Der Teestand liegt in einem schmalen Gang, weitab der Kundenströme. In einer Fensternische ein paar Meter weiter stehen drei Hocker. Doch nur wenige suchen dort einen Sitzplatz. Ihren Tee verkauft
Parbati hauptsächlich an die Ladenbetreiber im Haus, sie ist auf Stammkunden angewiesen.
Parbati hat lange gezögert, bis sie sich mit ihrem Teeshop selbständig machte. Im Jahr 2000 kam sie nach Kathmandu, wo ihr Mann einen kleinen Uhrenstand auf der Strasse betrieb. 23 Jahre alt war sie
damals, hatte zwei kleine Kinder. Schnell wurde sie von einer Mitarbeiterin von Sagun angesprochen, dem Vorgänger von Chhimeki. Diese Nachbarschaftshilfe gefiel Parbati. Schon zwei Jahre später war
sie selber in ihrem Viertel als ehrenamtliche Helferin unterwegs und betreute 30, 40 Familien. Sie informierte die Mütter über richtige Kinderernährung, über die Wichtigkeit der Muttermilch, über
Vitamine, Eisenmangel und half bei Problemen mit der Bürokratie. "Ich habe bei Chhimeki viele Freundinnen gefunden", sagt Parbati.
Eine wichtige Aktivität von Chhimeki sind Spargruppen. 30 bis 40 Frauen sind pro Gruppe organisiert, jede legt monatlich ein paar Rupien zur Seite. Sie helfen sich in der Not gegenseitig mit einem
kleinen Kredit. Anfangs hat Parbati 25 Rupien pro Monat eingezahlt, dann 50, dann 100. Mittlerweile gibt sie 1000 Rupien und könnte noch viel mehr einzahlen, doch 1000 ist die Obergrenze. Ihren
Gewinn muss sie deshalb zur Bank bringen, wo sie nur fünf bis sechs Prozent Zinsen bekommt, im Gegensatz zu Chhimekis Spargruppen: Dort müssen die Kredite mit zwölf Prozent verzinst werden.
Mit ihren ersten Krediten half sie ihrem Mann, der mittlerweile erst ins Tuchgeschäft, dann in den Kleiderhandel eingestiegen war. Mal lieh sie sich 5000 Rupien, mal 10.000, die Kredit-Obergrenze bei
Chhimekis Spargruppen. Die Geschäfte liefen gut genug, um die Kredite zurückzahlen zu können. Auf einen grünen Zweig aber kam die Familie damit nicht. Dann hatte Parbati die Idee mit dem Teestand.
Von da an ging es steil bergauf.
Eine kleine Besonderheit kam Parbati dabei zur Hilfe, denn für den Start ihres Geschäfts reichten 10.000 Rupien nicht aus. Mittlerweile hatte sich bei Chhimeki jedoch eine "Khutruke"-Gruppe gebildet,
die höhere Darlehen vergab. "Khutruke" heisst Topf und bedeutet so etwas wie Sparstrumpf. Jedes Mitglied einer "Khutruke"-Gruppe zahlt täglich ein paar Rupien ein, was man gerade übrig hat.
"Khutruke" ist eine nepalesische Spezialität, im ganzen Land wird so gespart. Die "Khutruke"-Gruppe bei Chhimeki gab Parbati ein Darlehen von 35.000 Rupien, ihre Geschäftsidee hatte die Mitglieder
überzeugt.
Zu Recht, wie sich bald zeigte. Verbrauchte Parbati anfangs 2,5 Liter Milch täglich für ihren Tee, ist sie nun bei 25 bis 30 Litern angelangt. "Ich lege Wert auf gute Qualität", erklärt Pabati ihren
Erfolg. Zwischendurch war der allerdings kurz gefährdet: Sie brühte ihren Milk Tea, wie alle Strassen-Teeköche in Kathmandu, mit einem Gaskocher auf. Irgendwann aber hiess es, die Brandgefahr durch
das offene Feuer im Kaufhaus sei zu hoch.
Parbati überlegte nicht lange und kaufte eine strombetriebene Edelstahlmaschine. Per Dampfdruck werden nun Wasser und Milch erhitzt.
Zehn Rupien, umgerechnet 7,5 Euro-Cent kostet ein Becher Tee bei Parbati. Mittlerweile kann Parbati jeden Monat 20.000 bis 25.000 Rupien auf die Seite legen. Ihr Mann hat sein Geschäft aufgegeben und
hilft nun seiner Frau. Parbatis Schwester ist auch kürzlich nach Kathmandu gezogen und hilft am Teestand. Ihre Familie, die sich lange einen einzigen Raum als Küche, Wohn- und Schlafzimmer hatte
teilen müssen, ist in eine Dreizimmerwohnung umgezogen, im selben Viertel. Dort ist Parbati morgens noch immer in ihrer Nachbarschaft als ehrenamtlichen Helferin für Chhimeki unterwegs. Ihren
Teestand will sie ausbauen, sie hat grosse Pläne. Einen Kredit braucht sie dafür nicht mehr.
Glücklicherweise, denn von Chhimeki hätte sie derzeit nicht viel zu erwarten: Die "Khutruke"-Gruppe hat sich aufgelöst, als Folge der finanziellen Schwierigkeiten von Chhimeki hatten festangestellte
Mitarbeiter gehen müssen, die Mitglied der "Khutruke"-Gruppe waren. Jetzt gibt es noch die Spargruppen – mit einer Darlehensobergrenze von 10.000 Rupien. Derzeit hätte Parbati keine Chance, genügend
Geld für die Umsetzung ihrer Pläne aufzutreiben. Aber Chhimeki hat das Problem erkannt und denkt über eine Lösung nach.